Koalitionsvertrag 2025: Wie die neue Regierung Überwachung im Netz ausbaut

13.04.2025
von Jörg Schieb

Die neue Koalition aus CDU/CSU und SPD verspricht Fortschritt – doch was im Koalitionsvertrag zur Digitalisierung steht, wirkt an vielen Stellen wie ein Rückschritt in Sachen Bürgerrechte.

Unter dem Deckmantel der Strafverfolgung wird ein umfangreicher Ausbau staatlicher Überwachungsmaßnahmen geplant. Dabei werden rechtliche Grauzonen und Spielräume bewusst ausgereizt. Ein kritischer Blick auf das, was auf uns zukommt.

Vorratsdatenspeicherung reloaded – die IP ist zurück

Die Vorratsdatenspeicherung ist tot – es lebe die Vorratsdatenspeicherung! Zwar hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2022 der anlasslosen, flächendeckenden Speicherung von Kommunikationsdaten eine klare Absage erteilt. Doch die neue Koalition hat in diesem Urteil eine kleine Hintertür gefunden: Die Speicherung von IP-Adressen ist unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt.

Diese Ausnahme will man nun nutzen: IP-Adressen und Portnummern sollen künftig für drei Monate gespeichert werden dürfen. Der offizielle Zweck: Täter schwerer Straftaten, etwa bei Kindesmissbrauch, sollen besser identifiziert werden können. Was harmlos klingt, bedeutet aber in der Praxis die flächendeckende Protokollierung unserer digitalen Spuren – völlig unabhängig davon, ob ein Verdacht vorliegt.

Das Argument der Verhältnismäßigkeit wird zwar bemüht, doch Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen: Solche Datenberge laden zum Missbrauch ein. Und einmal eingeführt, wird so eine Infrastruktur selten wieder zurückgebaut – eher im Gegenteil.

Auch ein Staatstrojaner ist ein Trojaner
Auch ein Staatstrojaner ist ein Trojaner

Der „Staatstrojaner“ für die Bundespolizei

Noch ein bekanntes, umstrittenes Instrument soll weiter ausgebaut werden: der Staatstrojaner. Dabei handelt es sich um eine staatlich entwickelte Spionagesoftware, die gezielt auf Smartphones oder Computer eingeschleust wird, um Kommunikation abzufangen – noch bevor sie verschlüsselt werden kann.

Künftig soll auch die Bundespolizei Zugriff auf dieses Werkzeug erhalten – zur Bekämpfung „schwerer Straftaten“. Doch wer definiert, was „schwer“ ist? Schon heute wird der Begriff mitunter großzügig ausgelegt. Kritiker warnen zu Recht vor einer schleichenden Normalisierung staatlicher Spionagesoftware.

Biometrische Überwachung auf dem Vormarsch

Besonders besorgniserregend sind die Pläne im Bereich biometrischer Überwachung. Die Koalition plant den Ausbau der sogenannten „biometrischen Internetfahndung“. Das bedeutet: Ermittler könnten künftig mit Hilfe von KI und Gesichtserkennung das Netz nach gesuchten Personen durchforsten – durch Abgleich von Fotos und Videos.

Aber nicht nur online: Auch im öffentlichen Raum sollen Überwachungskameras künftig biometrisch auswerten. Geplant ist die „retrograde biometrische Fernidentifizierung“ an „Kriminalitätsschwerpunkten“ wie Bahnhöfen oder Flughäfen. Heißt konkret: Kameras filmen dauerhaft mit – und Gesichtserkennung prüft, ob jemand auf einer Fahndungsliste steht.

Diese Technik birgt große Risiken: Fehlidentifikationen sind real, wie Studien aus anderen Ländern zeigen. Und sie betreffen oft Menschen mit dunkler Hautfarbe oder nicht-europäischem Aussehen. Die Folge: Unschuldige geraten ins Visier, Vertrauen in die Polizei sinkt.

Die Vorratsdatenspeicherung wurde erneut gekippt
Die Vorratsdatenspeicherung wurde schon mehrfach von Gerichten gekippt

Kennzeichenscanner und automatisierte Überwachung

Auch Autofahrer müssen sich auf mehr digitale Kontrolle einstellen: Die Koalition will automatisierte Kennzeichenerfassungssysteme im Dauerbetrieb zulassen. Bisher war das nur unter engen Voraussetzungen erlaubt. Nun soll der Einsatz flächendeckender werden – ebenfalls unter dem Vorwand der besseren Strafverfolgung.

Hier offenbart sich ein klares Muster: Der Koalitionsvertrag strebt an, alle „europa- und verfassungsrechtlichen Spielräume“ konsequent auszureizen. Klingt harmlos, ist aber in der Praxis ein Freifahrtschein für weitreichende Eingriffe in unsere Privatsphäre.

Digitalministerium und positive Vorhaben – Lichtblicke im Schatten

Es gibt sie aber durchaus, die positiven Aspekte im Koalitionsvertrag. Endlich soll es ein eigenständiges Digitalministerium geben – ein längst überfälliger Schritt. Wenn es mit den nötigen Kompetenzen ausgestattet wird, könnte es dringend nötige Reformen anstoßen.

Die Koalition verspricht unter anderem:

  • Registermodernisierung und Once-Only-Prinzip, bei dem Bürger ihre Daten nur einmal angeben müssen
  • Förderung von Quantencomputing und Mikroelektronik
  • Unterstützung einer europäischen Cloud-Infrastruktur
  • Stärkung von Energie-Start-ups und Forschung in erneuerbaren Energien
  • Und als technologische Vision: „Der erste Fusionsreaktor der Welt soll in Deutschland stehen“

Doch trotz dieser ambitionierten Pläne bleibt ein schaler Beigeschmack. Denn viele dieser Projekte sind nicht neu – sondern wurden in der Vergangenheit bereits angekündigt und verschleppt. Jetzt sollen sie also endlich kommen. Aber gelingt das auch wirklich?

Ein digitales Deutschland braucht mehr als Überwachung

Fazit: Die Digitalisierung in Deutschland hinkt seit Jahren hinterher. Statt echte Innovationen zu fördern, droht die neue Koalition sich in Kontroll- und Überwachungsfantasien zu verlieren. Natürlich ist Sicherheit wichtig – doch sie darf nicht auf Kosten der Freiheit gehen.

Ein modernes, digitales Deutschland braucht keine totalüberwachte Bevölkerung. Es braucht vertrauenswürdige digitale Dienste, digitale Bildung, eine leistungsfähige Verwaltung – und den Schutz von Grundrechten auch im Netz.

Die Frage ist: Gelingt der Spagat zwischen Sicherheit und Freiheit? Oder erleben wir einen digitalen Rückschritt im Namen der Modernisierung?