Der „X-odus“: Warum Medien und Institutionen der Plattform den Rücken kehren

22.11.2024
von Jörg Schieb

Die Plattform „X“, ehemals Twitter, erlebt einen tiefgreifenden Wandel. Der „X-odus“ – eine Abwanderungswelle von Medienschaffenden, Unternehmen und Institutionen – zeigt die wachsende Unzufriedenheit mit Elon Musks Plattform. Doch was treibt diesen Exodus an? Und wohin flüchten die Abwandernden? Eine Analyse.

Seit der Übernahme durch Elon Musk hat die Plattform „X“ mehr Aufmerksamkeit erregt, als ihr lieb sein dürfte. Hasskommentare, Fake News und fragwürdige Entscheidungen prägen das einstige Aushängeschild für kurze und prägnante Kommunikation. Nun verlassen immer mehr prominente Nutzer das sinkende Schiff – ein Wendepunkt in der Geschichte sozialer Medien?

Von Twitter zu „X“: Ein Netzwerk verliert seinen Glanz

Einst war Twitter das Zentrum für journalistische Debatten, politische Schlagzeilen und den direkten Austausch zwischen Prominenten und der Öffentlichkeit. Doch seit Elon Musk die Plattform übernommen hat, scheint dieses Erbe zu bröckeln. Musk, der selbst immer wieder durch provokante Tweets und kontroverse Äußerungen auffällt, setzt auf das Prinzip der absoluten Redefreiheit. Das Ergebnis: eine Zunahme an Hass, Desinformation und toxischen Inhalten.

Zudem sorgt Musk mit seiner Nähe zu politisch polarisierenden Persönlichkeiten wie Donald Trump für Unruhe. Diese Entwicklung stößt insbesondere in der Medienbranche auf Kritik. Medienpersönlichkeiten wie der österreichische ORF-Moderator Armin Wolf haben genug und ziehen Konsequenzen. Unter dem Hashtag #eXit rufen sie zur Abkehr von der Plattform auf – ein Schritt, der Signalwirkung haben könnte.

Twitter heißt nicht mehr Twitter, sondern X

Ein Exodus mit Symbolkraft: Wer geht und warum?

Die Abwanderung prominenter Nutzer von X ist mehr als ein symbolischer Akt. Armin Wolf, einer der bekanntesten Journalisten Österreichs, verließ die Plattform mit 127.000 Followern. Ähnlich handelte Florian Klenk, Chefredakteur des „Falter“, der X nach über 13.500 Tweets den Rücken kehrte. Auch Organisationen wie Correctiv und staatliche Institutionen wie Wikimedia Deutschland und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes verabschiedeten sich.

Warum die Abkehr?

Die Hauptkritik: X sei zu einem „toxischen Ort“ geworden. Wo einst sachliche Diskussionen und der Austausch von Informationen dominierten, herrschen heute Hasskommentare und Desinformation. Selbst Musk fiel mehrfach negativ auf, etwa durch das Teilen antisemitischer Inhalte.

Wirtschaftlich wird die Lage für X ebenfalls schwieriger: Werbekunden wie Apple, Disney und IBM zogen sich zurück, auch die EU-Kommission beendet ihre Anzeigenkampagnen auf der Plattform. Das zeigt: Der Exodus betrifft nicht nur einzelne Nutzer, sondern auch wichtige wirtschaftliche Stützen der Plattform.

Bluesky und Threads: Die neuen Hoffnungsträger?

Mit dem Exodus von X gewinnen alternative Plattformen an Bedeutung. Vor allem Bluesky, gegründet vom ehemaligen Twitter-CEO Jack Dorsey, verzeichnet regen Zulauf. Das Konzept eines dezentralen Netzwerks mit starker Moderation und innovativen Funktionen wie „Stackable Moderation“ überzeugt viele Abwandernde.

Warum Bluesky?

Bluesky verspricht Transparenz, weniger Hass und eine klare Vision für die Zukunft sozialer Netzwerke. Nutzer können mithilfe von „Starter Packs“ schnell relevante Inhalte finden, und die Plattform verzichtet bewusst auf das chaotische Wachstum, das X prägt. Aktuell zählt Bluesky 18,5 Millionen Nutzer, mit täglich über einer Million neuen Anmeldungen.

Threads, eine Plattform von Meta, ist ein weiterer Kandidat. Mit 275 Millionen registrierten Nutzern wirkt sie auf den ersten Blick attraktiver, doch viele User kritisieren die fehlende Eigenständigkeit von Threads. Statt eines eigenständigen Netzwerks fühlt sich die Plattform wie ein Anhängsel von Instagram an – ein Punkt, der Bluesky in den Augen vieler Nutzer noch attraktiver macht.

Warum bleiben viele dennoch auf X?

Trotz wachsender Kritik und Alternativen hält ein Großteil der Nutzer an X fest. Mit über 200 Millionen täglich aktiven Nutzern bleibt X eine der größten Plattformen weltweit. Besonders in der Medienwelt spielt der sogenannte Netzwerkeffekt eine zentrale Rolle: Dort, wo die meisten Journalisten, Politiker und Akteure aktiv sind, entstehen auch die relevanten Diskussionen.

Reichweite und Dynamik

X bietet weiterhin unschlagbare Vorteile: schnelle Reaktionen auf aktuelle Ereignisse, eine große Reichweite und die Möglichkeit, mit wichtigen Multiplikatoren in Kontakt zu bleiben. Viele Medienschaffende fürchten, auf Alternativen nicht dieselbe Aufmerksamkeit zu erzielen – und kehren nach einer Ankündigung des Abschieds sogar zurück.

Interessanterweise scheint die reine Reichweite nicht mehr das Hauptargument zu sein. Immer mehr Nutzer suchen nach Qualität und einem weniger toxischen Umfeld, was Bluesky und Threads einen Vorteil verschaffen könnte.

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Ein Wendepunkt für soziale Netzwerke?

Die Entwicklungen rund um X zeigen: Die goldenen Zeiten des Kurznachrichtendienstes könnten vorbei sein. Der „X-odus“ markiert möglicherweise den Beginn einer neuen Ära. Plattformen wie Bluesky setzen auf dezentrale Konzepte und stärkere Moderation, während Meta mit Threads versucht, bestehende Nutzerökosysteme zu nutzen.

Das Problem der Polarisierung

Die Abwanderung von Medienschaffenden und Unternehmen hat auch eine Kehrseite: Sie verstärkt die Polarisierung auf X. Seriöse Inhalte und journalistische Diskussionen werden rarer, während Hasskommentare und Desinformation zunehmend dominieren.

Doch mit jedem prominenten Abgang wächst der Druck auf X, die eigene Strategie zu überdenken. Bleibt die Frage: Kann Elon Musk die Plattform reformieren – oder wird sie in der Bedeutungslosigkeit versinken?

Ein Netz im Umbruch

Die Abwanderung von Medienschaffenden, Unternehmen und Institutionen von X ist ein Weckruf für die Plattform. Alternativen wie Bluesky zeigen, dass soziale Netzwerke auch anders funktionieren können – transparenter, moderierter und weniger toxisch.

Für Nutzer stellt sich nun die Frage: Bleiben oder gehen? Während X weiterhin mit Reichweite und Dynamik punktet, sprechen die Entwicklungen auf Plattformen wie Bluesky für eine neue Qualität der digitalen Kommunikation.

Eines ist sicher: Der „X-odus“ ist mehr als nur ein Trend. Er könnte die Spielregeln der sozialen Netzwerke nachhaltig verändern – und uns alle dazu zwingen, die Art und Weise, wie wir online kommunizieren, neu zu überdenken.